Die Farbe aus dem All | Kritik (2024)

Hier etwas Hexerei, da etwas Bodyhorror: Richard Stanleys Lovecraft-Verfilmung Die Farbe aus dem All verliert sich manchmal im Kleinklein – und kommt zu sich, wenn sie sich ganz dem Rausch eines schlechten Acidtrips hingibt.

Der junge Jack (Julian Hilliard) schaut in einen Brunnen. Seiner Schwester Lavinia (Madeleine Arthur) erklärt er, laut ihrem Vater (Nicolas Cage) könne man auf diese Weise die Sterne auch am Tag sehen. Eine Vorstellung, die die Schwester auf den LSD-Konsum des Vaters in dessen Jugend zurückführt. Es ist ein kleiner, lockerer Moment, relativ früh in Richard Stanleys Film Die Farbe aus dem All (Color Out of Space). Doch in ihm findet sich die Bruchstelle, an der die anfängliche familiäre Idylle in einen Albtraum umschlägt.

Ein Hippietraum im Privaten

Die Gardners leben irgendwo im Nirgendwo von Neuengland, umgeben von beschaulichem Grün. Auf ihrer Farm gibt es Alpakas, die es täglich zu melken gilt. Die jugendliche Lavinia betreibt Hexerei gegen die Eintönigkeit, während ihr in etwa gleichaltriger Bruder Benny (Brendan Meyer) im Stall liegt und kifft. Theresa Gardner (Joely Richardson), die Mutter, sitzt auf dem Dachboden, wo sie mittels modernster Technik ihrem Job als Broker nachgeht, während ihr Mann ebenso hippe wie gewöhnungsbedürftige Pseudobauernküche zaubert. Der Hippietraum von einer besseren Welt hat sich am Ausgangspunkt des Films aufs Private zurückgezogen und ist im Kleinen wahr geworden.

An eine sonst wie geartete Rebellion erinnert nur das im Wald unweit der Farm lebende Hippie-Faktotum Ezra, ein harmloser Unabomberverschnitt. Tommy Chong darf hier seine Rollen aus den Cheech and Chong-Kifferkomödien und Die wilden Siebziger (That ’70s Show, 1998–2006) weiterspielen und seine sanften „Dudes“ großzügig in seinen Sätzen verteilen. Nur seine Paranoia ist ausgeprägter; aus dem ehemaligen Bürgerschreck ist eine Karikatur zur Warnung vor Drogen geworden. Anders als die Elterngeneration der Gardners hat Ezra den Absprung in eine geordnete Erwachsenenwelt nicht geschafft. In ihm finden sich die verdrängten Potenziale des ansonsten spannungslosen Paradieses, die nach einem Meteoriteneinschlag auf der Farm eskalieren.

Selbstverstümmelung beim Gemüseschneiden

In der gleichnamigen Kurzgeschichte von H.P. Lovecraft landet mit dem Meteoriten eine außerirdische Entität auf einer Farm. Das Wasser ist im Folgenden vergiftet; Geist, Körper und Seele der Tiere und Menschen gleichen sich dem nasskalten Schlammloch an, der mal der Brunnen war. Oder, um es der Geschichte entsprechend zu bezeichnen: Alles „entartet“. Bei den Gardners im Film kommt noch hinzu, dass die Technik sie im Stich lässt und ihre Hilflosigkeit geradezu zu verlachen scheint. Zeit und Realität werden gerafft und verschwimmen. Kinder schauen wie hypnotisiert ins Nichts. Aus verständnisvollen Eltern werden verbitterte, der alltägliche Trott wird apathisch hingenommen, selbst beim Gemüseschneiden entstehende Selbstverstümmelungen dringen kaum noch ins Bewusstsein. Mit der Färbung, in der diese Szenen getaucht werden, sieht das alles aus wie der Flashback eines schlechten Acidtrips.

Zu einem gewissen Teil handelt es sich bei Richard Stanleys erstem Spielfilm, seit er 1996 von seinem Herzensprojekt D.N.A. – Experiment des Wahnsinns gefeuert wurde, aber auch um das Remake von The Curse (1987), einer älteren Verfilmung der Geschichte Lovecrafts – ein Seuchenthriller, der den simplen Vorgang der Vorlage mit einer von Puritanismus unterdrückten Sexualität auflädt. Aus der Lovecraft’schen „Entartung“ wird dort eine bizarre Geschlechtskrankheit des Bodens, die Flora und Fauna der Farm rasant verkommen lässt. Bei aller Zerfahrenheit der Geschichte schafft es The Curse, klare Bilder für genau diesen Vorgang zu finden. Assoziationsreich und voller Gross-outs, wird allein der Anblick von Wassertrinken darin etwas Zermürbendes.

Wenn es unwirklich lila leuchtet

Wenn Richard Stanleys Film nun diverse Parallelen aufbaut – wie die Koinzidenz des Meteoriteneinschlags mit einer Sexszene oder diverse Ausbuchstabierungen der familiären Selbstzerfleischung –, dann offenbart sich darin aber vor allem, wie wenig Durchschlagskraft die Bildsprache von Die Farbe aus dem All hat. Da kann noch so oft Wasser vielsagend in die Kamera gehalten werden, dieser Version fehlt die Klarheit und damit der Sinn für Ekel und Verfall. Die Farbe aus dem All verliert sich im Kleinklein. Hier etwas Hexerei, da etwas Bodyhorror. Hier etwas eskaliertes Familiendrama, da unheimliche Anzeichen – alles wird steif aneinandergekettet, ohne Synergien zu entwickeln, unzählige Potenziale für Horror und Unbehagen werden verwirkt. Nicolas Cage’ Enthemmung steht hier völlig verloren da, ein weiteres wirkungsloses Werkzeug des Films.

Allerdings wurde in The Curse etwas Zentrales der Geschichte außenvorgelassen: die titelgebende Farbe aus dem All, die Träger der Geschehnisse ist, eine Farbe eines auf der Erde völlig unbekannten Spektrums. Diese Extravaganz passte nicht zur Effektivität des Films. Die Farbe aus dem All kommt dagegen gerade zu sich, wenn er sich genau diese Extravaganz gönnt, wenn er mittels Farben und Licht versucht, neuartige Eindrücke zu entwickeln – so sehr diese auch schon wieder ein wenig auf die optische Überspanntheit Mandy (2018) verweisen. Wenn es unwirklich lila leuchtet. Wenn das grandiose Tondesign in seiner Sinnlichkeit nicht mehr allein gelassen wird. Wenn sich der Film nicht mehr an eine nicht fruchten wollende Dramaturgie verschwendet, sondern sich dem Rausch überlässt. Wenn er leider zu selten ist, was in ihm steckt: die Annäherung an einen Acidtrip, der uns versucht sehen zu lassen, was physikalisch nicht möglich ist.

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